km 10062 Khuzhir, Olkhon Insel
Eigentlich wollten wir ja nach unserem Trekkingtrip am Baikalsee ins Tunka Tal. Aber als wir in zurück in Irkutsk noch zufällig nach Feierabend die Fahrkartentante am Ausgang ihres Schalters abfangen, macht sie uns irgendwie klar, dass es wohl keine gute Idee ist, nach Arshan zu fahren. Ein weiterer Passant kommt dazu und mit ein paar Brocken englisch stammelt er irgendwas von „high water“ und wir sollen doch im Internet danach recherchieren. Nach einiger Suche sehen wir, dass in Arshan wohl ein Jahrhunterthochwasser am toben ist, sogar eine Tourigruppe von 15 Leuten wird noch vermisst und das halbe Dorf wurde über- und weggeschwemmt. Nachdem wir die Ausmasse der Zerstörung sehen, ist klar – Arshan hat sich damit vorerst nicht nur für uns erledigt. Wir sind froh, nicht schon eine Woche vorher dort gewesen zu sein, um möglicherweise jetzt selbst dort in der Klemme zu stecken.
Wir entscheiden uns um, zurück zur allerersten Idee, die wir bereits zu Hause länger verfolgt hatten. Die Olkhon Insel ist ca. 300km von Irkutsk entfernt und liegt zentral im Westen des Baikalsees.
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Mit ihrer Länge von 70km ist es die grösste Insel des Baikalsees und wird hauptsächlich von nur etwa 1500 eher mongolisch aussehnden Burjaten bewohnt.
Wir haben Glück und bekommen per email die Bestätigung, dass wir in Nikita’s Homestay im Hauptdorf der Insel Khuzhir noch das allerletzte Zimmer bekommen.
Im Hotel in Irkutsk freuen wir uns erst noch, dass die unfreundliche Hoteltante uns per Telefon Plätze im Bus organisieren kann. Wir machen uns am nächsten Tag gegen mittags auf zum zentralen Busbahnhof, wo wir nicht sonderlich begeistert unseren schrottigen Minibus ausfindig machen. Erfolglos versuchen wir uns mit dem Gedanken anzufreunden, die nächsten 5-7h in diesem Schrottbus zu verbringen. Denn wir legen uns mit dem halben Bus an, als die dicke Mutti ihren ca. 7-jährigen Sohn noch zu uns drei Erwachsenen in die letzte Reihe setzen will. Und bei aller Liebe ist nun wirklich nicht mal Platz für den kleinen Knirps.
Wir setzen uns durch und denken, dass wir zusammen mit einer anderen Frau nun wenigstens so halbwegs Platz haben, dennoch sinkt die Laune in den Keller. Denn es kommt doch noch schlimmer. Der Fahrer macht nochmal Halt und meint es todernst, als er noch ein weiteres Paar samt Gepäck in seinen kleinen Scheissbus würgen will. Als der fast 2m große Typ vom Fahrer auf die ca. 20cm Platz zwischen mir und der Frau in unserer Reihe verwiesen wird, wird’s uns nach kurzer, heftiger Diskussion zu blöd und wir machen klar, dass er uns mal kann und wir wieder aussteigen. Sichtlich genervt holt er unserer Rucksäcke vom Dach, gibt uns unser Geld wieder und wir fahren mit dem Taxi zurück zum Busbahnhof.
Wir hoffen, heute überhaupt noch auf die Insel zu kommen, immerhin ist es bereits halb 1 mittags, die Fahrt dauert etwa 7h und man muss noch mit der Fähre übersetzen. Aber als wir zurück am Busbahnhof sind, erwarten uns bereits einige, um Mitfahrer buhlende Minibusfahrer. So langsam haben wir’s nun gecheckt, wie es in Russland mit dem Reisen läuft. Man darf sich bloß keinen Stress machen und muss eigentlich nichts vorbuchen – einfach mal hinfahren und dann klappt das schon irgendwie. Auf unseren viel bequemeren Plätzen in unserem neuen Bus nehmen wir Platz und können sogar die Lehne in eine gemütliche Stellung bringen. So freuen wir uns nun drauf, mit einer um einiges netteren Truppe und unserem burjatischen Fahrer die nächsten 7h zur Insel zu fahren…
Sobald man Irkutsk verlässt wandelt sich die Landschaft in eine karge Graslandschaft, mit sanften Hügeln. Es ist ein wenig so, wie wir uns die Mongolei vorstellen. Wir vertrauen unserem Fahrer, dass er die manchmal kamikazeartigen Überholmanöver schon oft genug gemacht hat, um uns sicher ans Ziel zu bringen. Sobald wir mit der Fähre auf der Insel ankommen, wandelt sich die Strasse in eine holprige Schotterpiste. Die Landschaft ist faszinierend – obwohl im Norden die halben Insel bewaldet ist, ist im Süden kaum einen Baum oder Strauch zu sehen, nur endlose, hügelige Graslandschaften, die schroffen Felsen der Küste und kilometerlang keine Menschenseele. Nun verstehen wir auch, warum die Minibusse gerade mal so 1.5 Bar in den Reifen haben. Es geht ca. 40km bis etwa zur Mitte der Insel, bevor wir in dem, auf den ersten Blick recht trostlosen Khuzhir ankommen.
Wir betreten unsere Unterkunft und sehen sofort, dass wir hier definitiv In-the-place-to-be sind. Nikita’s Homestay ist eine Ansammlung von niedlichen, mit Schnitzereien verzierten eng aneinander gebauten Holzhäuschen und erinnert uns mit den liebevoll gestalteten Plätzen und Gärtchen immer wieder an die Fusion. Auf jeden Fall hat es was von einem kleinen Hippiedorf. Unser Zimmer strahlt mit all dem Holz und dem Ofen eine warme Gemütlichkeit aus und wir freuen uns, hier die nächsten vier Tage verbringen zu können.
Am ersten abend werden wir beim essen gleich von russischer Folkore überrascht, als der vielleicht knapp 80 Jahre alte Opa erst auf dem Klavier, dann auf der Ziehharmonika spielt und er und die beiden russischen Hausmuttis mit schriller Stimme russische Volkslieder dazu singen.. Wir lassen den Abend bei einem heissen Wein und einem kühlen Kozel Bier im „French Coffee“ bei einer Runde Backgammon ausklingen. Unsere Ohren freuen sich, dort mal normale Musik zu hören. Russland ist irgendwie auf dem DJ-Bobo-mässigen Terror-Techno hängen geblieben. Fast egal wo man Sound hört, ist es dieser ganz fiese voll-proll-Techno, der kaum länger als 2 Minuten auszuhalten ist. Ob in den Bars, in fast jedem Einkaufsladen und natürlich auch in den Minibussen. Aber hier werden wir davon verschont und geniessen sogar die französischen Chansons..
Das Dorf selbst strahlt auf den ersten Blick mit seinen Staubstrassen, den vielen streunenden Hunden und den teils verfallenen Holzhäusern zwar wieder mal die bekannte Trostlosigkeit aus, aber wenn man sich erstmal an diesen russischen Trash-Style gewöhnt hat, dann ist es doch irgendwie ganz schnuckelig. Die Unterkunft ist jedenfalls super, das Essen ist ok und wir machen uns auf, die Umgebung zu erkunden.
Die Blicke über den Baikalsee und den gegenüberliegenden Bergen sind atemberaubend und die schroffe Küste mit ihren kleinen Buchten und dem langen Sandstrand sehen insbesondere im Sonnenuntergangslicht wirklich gigantisch aus. Die Zeit tickt hier noch langsamer und auch wir merken, dass wir gerne alles etwas langsamer angehen und nehmen uns die ersten Tage nichts Besonderes vor. Auf meiner morgendlichen Joggingrunde beobachte minutenlang die Möven, die im starken Aufwind der Küste spielen. An diesem Ort kann man definitiv Stress abbauen und seinen inneren Frieden finden.
Beim vorbeijoggen bin ich von den 4 einheimischen Burjaten fasziniert, die sich bei einem kleinen Lagerfeuer und 2 Flaschen Vodka mit gefalteten Händen vor dem Baum verbeugen. An diesem befestigen sie anschliessend eins der bunten Bänder, mit denen der Baum bereits übersäht ist. Nach alter schamanischer Sitte soll dies für ein Vorhaben das nötige Glück bringen. Oben auf dem Hügel stehen weitere 13 Pfähle, die mit diesen bunten Bändern bis oben behängt sind. Abends treffen sich hier die Leute auf dem Hügel, um den langen Sonnenuntergang und den Blick über den Baikalsee auf die gegenüberliegenden Hügel zu geniessen… Wir hängen in den nächsten Tagen auch noch ein blaues Band an einen der Pfähle, um unsere Reise mit dem nötigen Glück zu segnen.
Wir gehen es ruhig an auf der Insel und nehmen uns mit Absicht nicht viel vor. Ausschlafen steht auf dem Programm und wir entscheiden uns gegen eine der vielen möglichen Exkursionen. Stattdessen leihen wir uns bei bestem Wetter eins der Quads aus. Mit den ebenen Graslandschaften und den staubigen Feldwegen ist die Insel wie gemacht für die Spassflitzer. Mit 50 Sachen heizen wir einmal quer über die Insel. Das eigentliche Ziel ist ein mineralhaltiger See, der für seine heilende Wirkung bekannt ist. Jasmin hatte eigentlich vor, sich wegen ihrer Hand darin zu baden. Aber als wir ankommen, bietet sich uns lediglich der eher triste Blick auf eine grosse Schlammpfütze.
In diesem morastartigen, stinkenden Tümpel aalen sich am Rand obendrein tausende kleine tote und lebendige Fliegenlarven. Das Wasser ist rötlich-braun und keine 20cm tief, so dass es weniger nach einem erfrischenden Sprung ins kühle Nass aussieht, sondern wohl eher einer Mutprobe gleich kommen würde. Über einen schroffen Waldweg düsen wir durch einen lichten Lärchenwald, an weitläufigen Wiesen vorbei weiter zur Ostküste der Insel. Nico’s Offroadträume gehen in Erfüllung, die Fahrerei auf dem Quad macht einfach einen Heidenspass. Jasmin fährt den Weg wieder zurück Richtung Khuzhir. Wir biegen ab und bohren auf dem ebenen Gras querfeldein den Hügel hinauf und bestaunen den unglaublichen Rundblick über diese beeindruckende Landschaft. Passend zur Kulisse segelt ein Adler lautlos an uns vorüber.
Zurück auf dem Weg halten wir an einer Gabelung an, um den richtigen Weg zu checken. Der Motor geht von selbst aus und – tadaaa – lässt sich zu unserem Pech nicht mehr starten. Warum auch immer, aber die Batterie ist scheinbar leer. Leider kann man das Ding nicht anschieben, also stehen wir erstmal dumm da. Ich bin froh, dass wir uns von dem Typen noch ein Handy haben mitgeben lassen, nur so für alle Fälle. Als ob der Verleihtyp es geahnt hat, ruft er in diesem Moment an, um sich zu erkundigen ob alles ok ist. Ich versuche ihm zu erklären wo wir stehen, was aufgrund der vielen kleinen Feldwege und Hügel nicht so eindeutig ist.
Ein junges Mädel kommt kurze Zeit später in ihrem Jeep vorbei und fragt in gutem englisch ob sie helfen kann. Sie kommt aus der Ukraine und ist mit ihren Eltern hier abseits der Strasse, um Autofahren zu lernen. Insgesamt dauert die ganze Aktion trotz rührender Hilfe der russischen Family dann doch über eine Stunde, bis der Quadtyp uns endlich findet und mit ner Ersatzbatterie wieder fahrtauglich macht. Der atemberaubende Ausblick bei bestem Sonnenschein macht die Wartezeit allerdings erträglich.
Wir entdecken noch einen Schiffsschrottplatz, wo ausgediente Boote einfach mal so abgestellt wurden. Es ist eine unheimliche Kulisse, aber bei diesen Weiten ist es im Sonnenuntergang wieder mal atemberaubend..
So vergehen die 4 Tage auf der Olchon Insel und wir fahren zusammen mit einer vietnamesischen Gruppe im Minibus die 7h zurück nach Irkutsk, wo am nächsten Morgen unser finaler 33h Abschnitt der transsibirischen Eisenbahn in die mongolische Hauptstadt Ulan Bator beginnt.
Ein Kommentar
Annabell Ghirlanda
Russland ist schon ein sehr weites offenes Land. Und als Quadfahrer macht Ihr Beide eine gute Falle:)) So ein Schiff in meinem Garten würde mir auch gefallen, dann hätt ich nicht mehr so viel Rasen zu schneiden…
Schade das nichts wurde mit dem Heilbad, hätte Jasmins Hand sicher gutgetan wenns denn was genutzt hätt? Dass Glaube Berge versetzt sieht man ja an eurem Fotos, in dieser Gegend sind ja alle schon versetzt worden und Ihr könnt die Sonnenuntergänge mit freier Sicht geniessen. Passt Euch auf und auf die Busfahrten im besonderen.
Umärmälä Eu Zwei ganz Dolll……..